Projekt-339: Gentechnikfreiheit in Landwirtschaft und Ernährung als Konzept und Produktionsprozess - Entwicklungen und Perspektiven im globalen Kontext

Projektleitung

Josef HOPPICHLER

Forschungseinrichtung

Direktion Bergbauern

Projektnummer

10114

Projektlaufzeit

-

Finanzierungspartner

Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

Allgemeine Projektinformationen

Titel, Abstract, Schlagwörter (englisch)

Berichte

Abschlussbericht , 31.12.2008

Kurzfassung

Das Forschungsprojekt Nr. BF 89/02 der Bundesanstalt für Bergbauernfragen \"Gentechnikfreiheit in Landwirtschaft und Ernährung als Konzept und Produktionsprozess - Entwicklungen und Perspektiven im globalen Kontext“ wurde bereits im Dezember 2008 mit einem ersten umfangreichen Bericht an das BMLFUW abgeschlossen. Nach einer intensiven Review-Phase konnte der Projektbericht im Oktober 2010 unter dem Titel „Die Agro-Gentechnik zwischen Gen-Verschmutzung und Gentechnik-Freiheit“ als Forschungsbericht Nr. 64 der BA für Bergbauernfragen publiziert werden. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Die Ausgangshypothese dieses Projektes war, dass die Beschleunigung des Einsatzes gentechnisch veränderter Organismen (GVO) in Landwirtschaft und Ernährung dazu führen wird, dass auch die Gegenbewegung in Form gentechnikfreier Nahrungsmittel an Bedeutung gewinnt und dass sich letztlich neben den GV-Produkten auch ein bedeutender gentechnikfreier Sektor herauskristallisieren wird. Diese Dynamik ist aber nicht in dem erwarteten Ausmaß eingetreten. Österreich und auch viele andere Länder mit einer ähnlichen gentechnikkritischen Positionierung waren bezüglich der Beeinflussung der globalen Entwicklungen in den letzten Jahren sehr erfolgreich. GV-Reis und GV-Weizen und somit Nahrungsmittel auf direkter GVO-Basis wurden nicht zugelassen bzw. einfach nicht vermarktet. Im Gegenteil allein die bisherigen Großversuche mit GV-Pflanzen bedingten, dass die globalen Probleme mit GVO-Verunreinigungen stark zugenommen haben, und sich daraus enorme Risikopotentiale ankündigten. Zudem erzeugten die Beseitigung oder besser gesagt die Eingrenzung und nachträgliche Legalisierung der GVO-Verunreinigungen sehr hohe Kosten für die Zulassungsinhaber und vor allem für den Agrarhandel bzw. die Agrarindustrie. GVOs haben sich zwar global gesehen im Bereich der Produktion von Industrierohstoffen (wie Baumwolle) und Futtermittel (wie Soja, Raps und z.T. Mais) durchgesetzt, nicht jedoch in direkter Form im Nahrungsmittelsektor etablieren können. Österreich hat sich auf dem Gebiet der gentechnikfreien Produktion einen international beachtlichen Ruf erworben, der durch die kritische Einstellung der EuropäerInnen gegenüber der Anwendung der Gentechnik in Landwirtschaft und Ernährung in ein positives Image umgewandelt werden konnte. Dies ermöglicht auch, dass österreichische Produkte als qualitativ hochwertig hervorgehoben werden können. Um diesen Weg eines „gentechnikfreien Österreich“ abzusichern bzw. diesen an das dynamische internationale Umfeld anzupassen, erschien es notwendig, den globalen Kontext der aktuellen Entwicklung des GVO-Anbaus und dessen Umfeld zu analysieren. Gleichzeitig sollten alle Entwicklungen in Richtung einer gentechnikfreien Produktion untersucht werden, um auch einen allgemeinen Überblick über Österreichs Mitbewerber am Markt für Gentechnikfreiheit zu haben. Und „last but not least“ ging es auch darum, aus den internationalen Entwicklungen und Beispielen zu lernen und auch Verständnis für die globalen Zusammenhänge zu wecken. Primäre Untersuchungsgegenstände waren die wichtigsten Erzeugerländer von GV-Pflanzen bzw. auch die wichtigsten Importländer. Das sind: USA, Kanada, Argentinien, Brasilien, Japan, Indien, Volksrepublik China, Australien sowie die EU. Nicht untersucht wurden andere große asiatische Länder oder Afrika. Dieser Bericht gibt detailiert in Bezug auf die Gentechnologiepolitik in diesen Ländern, insbesondere bezüglich des wirtschaftlichen Umfeldes, der Kennzeichnung von GVO sowie der GVO-Verunreinigung Auskunft. Das letzte Kapitel beschäftigt sich speziell mit der „Alternative Gentechnikfreiheit“ in Europa. Hier stehen der biologische Landbau, die positive Auslobung der Gentechnikfreiheit und die Ansätze zur Einrichtung von „GVO-freien Zonen“ im Zentrum der Analyse. Parallelen und Unterschiede – Beispiel Kennzeichnung Trotz der eigenständigen Entwicklungsmuster in den untersuchten Ländern sind im Rahmen des Weltmarktes alle Entwicklungslinien miteinander verbunden und es gibt vielfältige Zusammenhänge und Abhängigkeiten. Auch das soll und kann mit diesem Bericht vor Augen geführt werden. So manche Entscheidung, die in Peking oder Neu Delhi ansteht (z.B. wie die kommerzielle Zulassung von GV-Reis), hat mehr Einfluss auf die europäische Politik, als so manches Mitgliedsland der EU wahrhaben möchte. Es gibt auch wieder parallele Reaktionsmuster einzelner Länder, die trotz einer geografisch gegliederten Darstellung sichtbar werden und durch ähnliche Problemlagen charakterisiert sind. Beispielsweise zeigen Japan und EU, die durch eine Importabhängigkeit gekennzeichnet sind, sehr ähnliche Vorgangsweisen. Dies deutet wiederum auf gleich gerichtete Interessenslagen hin. Deshalb hat zum Beispiel Hokkaido ein regionales Koexistenzgesetz, das den österreichischen Gentechnikvorsorgegesetzen durchaus entsprechend ist. Die Entscheidung für eine Kennzeichnung von GV-Nahrungsmittel sowie der jeweilige Schwellenwert, ab dem die Kennzeichnung erfolgen muss, ist ein Schlüsselkriterium dafür, welche nachfolgenden Entwicklungen in Bezug auf den GVO-Einsatz oder welche Problemlösungen sich bei GVO-Verunreinigungen ergeben. So hat die EU-Entscheidung für den 0,9 %-Schwellenwert für zufällige und technisch unvermeidbare transgene Beimengungen sowie die Null-Toleranz für nicht zugelassene GVO ganz wesentlich die bisherige globale Entwicklung beeinflusst. Deshalb sind dieser Schwellenwert und die Null-Toleranz auch eine jener Kernpunkte, gegen den die globale Biotechnologie-Industrie mit ihren Expansionsinteressen besonders stark „anrennt“. Eine andere Entwicklung hat wiederum Japan genommen. Durch seine relativ starke Importabhängigkeit hat es einen Kennzeichnungsschwellenwert von 5 % beschlossen, sowohl für die Pflichtkennzeichnung als auch für eine mögliche „GVO-frei“-Auslobung. Damit wird zum einen die starke Importabhängigkeit von Nordamerika kaschiert und zum anderen auch der nordamerikanischen Norm entsprochen. Trotzdem gibt es vor allem in Japan insbesondere bei Bierbrauereien Vorgangsweisen, obwohl sie die Verwendung von Maisstärke aus GVO nicht kennzeichnen müssten, diese aus Nicht-GVO zu erzeugen, um dann das Bier absichtlich als „GVO-frei“ zu kennzeichnen. Die Sensibilität gegenüber der „Natürlichkeit“ von Nahrungsmitteln findet sich nicht nur in Europa sondern auch in Japan bzw. in allen Ländern, die sich selber eine Tradition und hohe Werthaltung in der Speise- und Ernährungskultur zudenken. Auch in China muss gekennzeichnet werden und auch in China ist die mögliche Nichtakzeptanz von GVO in Nahrungsmitteln insbesondere in der städtischen Bevölkerung ein Thema. Die Bewegung für Gentechnikfreiheit und GVO-freie Zonen ist global Fast in allen Ländern, gibt es Bewegungen für gentechnikfreie Ernährung oder GVO-freie Zonen. Am wenigsten fallen solche Bewegungen in den Entwicklungsländern auf; bzw. geht es dort bei der Gegenbewegung weniger um das Risiko der GVO als viel mehr um die soziale Ungerechtigkeiten oder um die soziale Emanzipation und das „Empowerment“ der sozial Schwachen. In den westlich orientierten Industrieländern dagegen stehen der Schutz von Umwelt und Gesundheit sowie die Ökologisierung der Landwirtschaft im Zentrum der Gentechnikfrei-Bewegungen. So finden wir diese Bewegungen nicht nur in Europa, sondern auch in den USA, in Japan und in Australien. In den USA gibt es eine lebendige Szene von NGOs, die für GVO-Freiheit kämpfen. Beispielsweise haben sich in Kalifornien ganze Bezirke per Referendum als gentechnikfrei erklärt und den Anbau von GVO mittels regionaler Verbotsverordnungen untersagt. In einigen Bundesstaaten wurden Gesetze eingeführt, die die Gentechnikfreiheit bzw. die regionalen Ernährungssysteme unterstützen. Es gibt eine Vielfalt von Versuchen eine Gentechnikfrei-Kennzeichnung einzuführen und einen wachsenden Sektor, der eine gentechnikfreie Erzeugung aufrecht zu erhalten versucht. Letzteres dient vor allem dazu, den gleichzeitig wachsenden Biosektor mit minimaler GVO-Belastung zu garantieren. Große Handelsketten wie WalMart, Kroger oder Costco haben erklärt, dass sie keine Milch, die mit Hilfe von gentechnisch erzeugtem Rinderwachstumshormon (rBST) erzeugt wurde, verkaufen, oder Kaffeehausketten wie Starbucks haben rBST-Milch ausgelistet. In Australien haben die meisten Territorien bis 2008 den Anbau von GV-Raps untersagt und erst 2008 haben Victoria und New South Wales ihre Moratoria aufgehoben. Auch hier haben große Supermarktketten via Presse bekannt gegeben, keine GV-Nahrungsmittel in ihr eigenes Sortiment aufzunehmen. Tasmanien als große Insel hat erstmals im Jahr 2001 erklärt, dass es permanent frei von GV-Pflanzen bleiben wolle und diese Erklärung wurde erst 2007 auf weitere fünf Jahre verlängert. Für Saatgut, insbesondere auch Rapssaatgut wird auf eine Null-Toleranz bestanden. In Japan findet sich neben der Bestrebung, möglichst keine GV-Nahrungsmittel und keine Zutaten wie Stärke von GV-Mais zu verwenden, auch eine Bewegung für GVO-freie Zonen. So wurden in Hokkaido 40.000 Hektar - das sind 3,4 % der Ackerfläche - als „GVO-frei“ ausgewiesen. Die Bewegung und politische Ambitionen in zahlreichen EU-Ländern in Richtung Gentechnikfreiheit haben in den anderen Industrieländern ihre Entsprechungen. Sicherlich ist aber die Bewegung für eine gentechnikfreie Landwirtschaft in Europa am vielfältigsten und effektivsten. Die Zukunftskontroverse: Monopolisierung versus Demokratisierung der Ernährungssysteme Was in der Zusammenschau der Analyseeinheiten auch besonders sichtbar wird ist, dass die Durchsetzung der GVO-Anwendung als dominante Agrartechnik eine globale Auseinandersetzung zwischen einer Handvoll global agierender Biotechnologie- und Chemiekonzernen auf der einen Seite und einem ebenfalls global agierenden Netzwerk von NGOs auf der anderen Seite ist. Um die Auseinandersetzung vereinfachend und näher zu benennen: Während Monsanto die Speerspitze der globalen Biotechnologie-Industrie ist, welche von den USA und ihren verschiedenen Politikstrategien sehr stark unterstützt wird, steht auf der anderen Seite des Spektrums Greenpeace, das wieder die Speerspitze einer global vernetzten Zivilgesellschaft ist und das durch die Information der Öffentlichkeit seine Macht entfaltet. Diese beiden Einheiten begegnen sich direkt in fast allen untersuchten globalen Regionen und Ländern, bzw. wird Greenpeace manchmal durch Schwesterorganisationen vertreten oder ergänzt. Die Einheiten kämpfen mit Gutachten, Stellungnahmen und Studien, mit Presseaussendungen und Informationsnetzwerken um den politischen Einfluss und um die Entscheidungen in ihre Richtung zu treiben. Die Frage ist natürlich, ob die Mittel der beiden Kontrahenten gleichwertig und gleichgewichtig sind. Während Monsanto eher seinen technologischen und organisatorischen Apparat sowie den finanziellen und politischen Einfluss in die Wagschale wirft und die hohe Kunst des Lobbyings in Politik und Verwaltung pflegt, arbeitet Greenpeace oder seine Schwesterorganisationen mit dem Druck der Öffentlichkeit durch mediale Information. Das sind aber nur Stellvertreter-Konflikte. De facto geht es darum, ob das zukünftige globale Ernährungssystem auf gentechnologisch erzeugtem High-Tech-Saatgut aufbaut, das über die geistigen Eigentumsrechte bzw. Patente von ganz wenigen Unternehmen kontrolliert wird, oder ob die nationalen und lokalen Souveränitäten über die jeweiligen Ernährungssysteme bestehen bleiben können. Es ist ein Widerstreit zwischen der Monopolisierung versus Demokratisierung unseres zukünftigen Agrarsystems. Diese Auseinandersetzung hat wiederum zwei wesentliche Aspekte. o Zum einen kann sie nur innerhalb einer bestimmten Offenheit der Gesellschaft und eines bestimmten Grades an Meinungs- und Pressefreiheit stattfinden. Dass es z.B. auch Greenpeace in der Volksrepublik China gelungen ist, Gegenstudien in Auftrag zu geben und die Ergebnisse öffentlich zu kommunizieren, zeigt auch, dass dieses Land auf dem Weg zu einer offeneren Gesellschaft ist. Insgesamt in einer globalen Zusammenschau gilt: Nur durch einen demokratisch legitimierten Diskurs ist es möglich, dass die Rechte der KonsumentInnen auf freie Konsumwahl berücksichtigt oder Informationsrechten entsprochen wird oder bestimmte Schutzrechte eingehalten werden. o Zum anderen wird durch diese Auseinandersetzung selbst erst die Thematik für die Öffentlichkeit transparent gemacht. Ohne die Öffentlichkeitsarbeit der NGOs würden viele Problemlagen und Entwicklungen gar nicht beschrieben und diskutiert werden. Ohne dieses zivilgesellschaftliche Informationssystem wäre eine Bildung und Auseinandersetzung der kritischen Öffentlichkeit mit der gegenständlichen Thematik gar nicht möglich. Der Diskurs über die GVO-Anwendung in Landwirtschaft und Ernährung ist somit dialektisch: Ohne demokratische Öffentlichkeit keine Möglichkeit sich damit auseinander¬zu¬setzen und ohne Auseinandersetzung keine informierte Öffentlichkeit. Es soll in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen sondern sogar hervorgehoben werden, dass sehr viel Grundlagenmaterial für diesen Bericht in Form von Gutachten, Kurzstudien und Pressinformationen von NGOs und NGO-Netzwerken stammt oder dass diverse Berichte und Artikel und wissenschaftliche Publikationen auch über diese Informationssysteme vermittelt wurden. Ohne diese Netzwerke wäre Vieles, was hier beispielsweise über China, Japan oder Indien berichtet wird, nicht zugänglich gewesen oder gar nicht dokumentiert worden. Hat die Gentechnikfreiheit eine Chance? Eine wesentliche Frage dieser Analyse war, ob die Gentechnikfreiheit, so wie sie in Europa oder auch Mitteleuropa konzipiert wurde, längerfristig eine Chance hat zu bestehen, und ob auch zukünftig den KonsumentInnen eine Wahlfreiheit garantiert werden kann. Diese Frage muss sehr differenziert beantwortet werden. Ja, aber Kontaminationen sind nicht zu verhindern. Wenn es darum geht, dass in großen Teilen Europas kein absichtlicher Anbau von GVO stattfindet, dann kann die Frage mit ja beantwortet werden. Dies liegt in der Kompetenz unserer demokratischen Entscheidungen, die wir alle gemeinsam fällen. Aber ein unabsichtlicher Anbau, dh. über GVO-Verschleppungen und GVO-Verunreinigungen von Saatgut, wird je nach den vorgegebenen Schwellenwerten und je nach der Breite des globalen Anbaus und je nach den zugelassenen Kulturpflanzen (z.B. von fremdbestäubenden Getreidearten) immer schwerer zu verhindern sein. Die GVO-Verunreinigungen haben in den letzten Jahren enorm zugenommen, dabei sind nur ganz wenige Kulturpflanzen involviert bzw. findet sich vieles erst im Versuchsstadium. Sollten in Zukunft GV-Reis und GV-Weizen zugelassen werden und noch mehr GV-Mais angebaut werden, dann werden auch bei uns die GVO-Verunreinigungen weiter zunehmen, außer wir trennen unsere Saatgutversorgung vollkommen vom internationalen Markt und importieren keine lebensfähigen Samen. Letzteres macht z.B. Australien derzeit – und selbst in diesem Fall hat es bereits über Handelsschiffe GVO-Kontaminationen gegeben. Sollten die Zulassungen in den USA oder auch in anderen Ländern unabhängig von der EU enorm beschleunigt werden und immer mehr Großversuche mit den unterschiedlichsten GV-Konstrukten stattfinden, dann besteht die Gefahr, dass auch unsere pflanzlichen Nahrungsmittel zunehmend mit nicht zugelassenen GVO belastet werden. Dadurch steigt der politische Druck, entweder Schwellenwerte für nicht zugelassene GVO einzuführen oder die kommerziellen Zulassungen je nach dem akut auftretenden Problem nachzuvollziehen. Daraus erwächst wiederum die Gefahr, dass nicht mehr der Schutz der Umwelt und Gesundheit im Zentrum der Zulassungsverfahren stehen, sondern die handelspolitischen Notwendigkeiten. Der Kennzeichnungsschwellenwert von 0,9 % mag zwar längerfristig haltbar sein, wenn in Europa kein großflächiger Anbau stattfindet, welche Konstrukte sich aber unter diesen 0,9- Prozent-Schwellenwert alle in den Nahrungsmitteln finden, darüber könnte der Überblick schnell verloren gehen. Gleichzeitig ist die eindeutige Ablehnungshaltung der KonsumentInnen in Europa gegen transgene Nahrungsmittel die beste Gewähr, dass sich dieser zunehmende Zulassungsdruck bei Nahrungspflanzen wie Reis oder Getreide oder auch bei Gemüse und Obst nicht einstellen wird. Auch in Zukunft werden die wichtigsten Entscheidungen, soweit es GV-Nahrungsmittel betrifft, in den Supermärkten fallen. Die Erhaltung der Gentechnikfreiheit bei tierischen Nahrungsmitteln wäre für die gesamte EU unter Ceteris-paribus-Bedingungen schwierig. Für kleinere Länder oder für Qualitätsprogramme ist aber eine Umstellung jederzeit möglich. Gentechnikfreiheit bei tierischen Nahrungsmitteln setzt die Verwendung gentechnikfreier Futtermittel voraus. Gerade aber bezüglich des vorherrschenden Eiweißfuttermittels Sojabohne, welche bereits zu über 60 % auf Grundlage von GVO-Saatgut erzeugt wird, weist die EU eine große Importlücke auf. Sollte die ganze EU oder zumindest große Teile der EU auf gentechnikfreien Sojaschrot umgestellt werden, so wäre unter derzeitigen Bedingungen schon eine großflächige Durchführung von garantierter GVO-freier Fütterung kaum mehr möglich. Die Versorgung von mehreren kleineren EU-Staaten oder von einzelnen Produktionssparten bzw. Qualitätsprogrammen mit Non-GVO-Soja aus Brasilien ist aber jederzeit möglich. Zudem bestimmt die Nachfrage das Angebot. Doch eines ist auch für die GVO-freie Fütterung klar: Wenn in Brasilien die Anteile für GV-Soja weiter zunehmen und Non-GV-Soja knapper wird, werden auch die Preise für gentechnikfreies Soja bzw. gentechnikfreien Sojaschrot steigen. Das ist nur zum Teil durch die höheren Trennungs- und Kontrollkosten bedingt sondern auch dadurch, dass Brasilien bzw. die brasilianischen Anbauverbände und Verarbeiter zunehmend eine Art Monopol für GVO-freies Soja besitzen. Diese werden versuchen ihre Monopolrente zu maximieren. Waren in der Vergangenheit die Marktaufschläge pro 100 kg GVO-freien Sojaschrot nur ein bis zwei Euro, so sind es derzeit laut Angaben des größten Importeurs der Schweiz „fenaco“ 2,60 bis 3,30 Euro für die Ernte 2009/2010. Wenn an die Möglichkeiten von höheren Preisen durch Qualitäts-Markenfleisch gedacht wird, dann sind die Mehrkosten zwar noch immer verkraftbar, in Zukunft könnten aber die Preisaufschläge noch erheblich anwachsen. Auf der anderen Seite, wenn die Preise für Non-GVO-Soja aus Brasilien zu stark ansteigen, dann werden auch andere Eiweißfuttermittel, die direkt in Europa erzeugt werden können, äußerst interessant. So könnte zukünftig beispielsweise die Erzeugung von Trockenschlempe (DDG – Dried Distillers Grains) aus der Agrosprit-Erzeugung, wenn sie auf GVO-freien Rohstoffen basiert, zum Teil diese Eiweißlücke an GVO-freiem Soja schließen. Obwohl die Agrosprit-Strategie in Bezug auf seine Klima- und Umweltwirkung sehr diskussionswürdig ist, so hat hier Europa doch einen Vorteil gegenüber den USA, denn der europäische DDG ist gentechnikfrei. Wer gentechnikfreie tierische Nahrungsmittel erzeugen möchte, kann dies somit jederzeit ohne Probleme gewährleisten. Diese Nahrungsmittel können aber nicht mehr zum selben Preis wie andere konventionelle Produkte bereitgestellt werden, denn die Trennungs- und Kontrollkosten werden mit wachsendem GVO-Anbau zunehmend auf die gentechnikfreien Produkte überwälzt. Auf der anderen Seite ist auch nicht zu befürchten, dass gentechnikfreie tierische Produkte zu teuer werden, denn der Mehrpreis wird sich an den Futterkosten der jeweils günstigsten gentechnikfreien Alternative orientieren müssen.

Berichtsdateien

FB64.pdf

Autor/innen

Hoppichler J.