MISTELUR: Misteln im urbanen Raum als Frühwarnsystem für klimabedingte Waldschäden

Projektleitung

Andrea Kodym

Forschungseinrichtung

Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Naturgefahren und Landschaft (BFW)

Projektnummer

101865

Projektlaufzeit

-

Finanzierungspartner

Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft 

Allgemeine Projektinformationen

Abstract (deutsch)

Die Weiße Mistel (Viscum album L.) ist ein immergrüner Halbschmarotzer aus der Familie der Mistelgewächse Santalaceae, die sowohl auf Nadel- als auch auf Laubbäumen parasitiert. Die Eichenmistel (Loranthus europaeus) aus der Familie der Loranthaceae tritt in unseren Städten seltener auf; sie erreicht im Osten Österreichs ihre europäische Verbreitungsgrenze. Zu ihren Wirtsbäumen zählen Eichen und Edelkastanien. Gemeinsam ist ihnen unter anderem die kugelförmige Wuchsform und die Ausbildung von hartnäckigen Haustorien, mit denen sie die Leitungsbahnen der Wirtspflanzen anzapfen. Sie betreiben Photosynthese, sind deshalb sehr lichtbedürftig, jedoch vollständig von den Wasser- und Mineralressourcen des Baumes abhängig, auf dem sie sich niederlassen. Misteln gelten als Schwächeparasiten, deren Anwesenheit oft auf ungünstige Wachstums­bedingungen des Baumes hinweisen. Infolge des Klimawandels verschlechtern sich die Wachstumsbedingungen von Bäumen in der Stadt oft noch schneller bzw. intensiver als im Wald.

Misteln sind im städtischen Bereich stark verbreitet. Der Befall von Bäumen führt zu einer Verschlechterung von deren Vitalität und zum Austrocknen von Ästen, die ein Gefahrenpotential darstellen. Vor allem ältere Bäume mit bereits vorhandenen Schäden an Stamm und Ästen sind stärker von der Mistel betroffen. Trotz intensiver Schädigung vieler Bäume durch die Mistel gibt es Baumarten, die gegen Schäden weitgehend resistent sind.

Eine genaue Analyse von Zusammenhängen zwischen Faktoren wie Baumart, Standort, Dynamik des Mistelbefalls, Erfolg von Gegenmaßnahmen in der Vergangenheit usw. aus den Daten der Städte Wien und Graz soll helfen, im Klimawandel besonders gefährdete Waldsituationen zu erkennen und rechtzeitig entgegenzuwirken. Die Misteln wirken in diesem Sinn als Vorindikatoren für sich anbahnende komplexe Waldschäden. Gleichzeitig soll aus Episoden starken Mistelbefalls in Wäldern in der Umgebung Wiens in der Vergangenheit abgeleitet werden, welche Faktoren begünstigend bzw. eindämmend wirken. Die Ergebnisse dieser Studie schaffen die Grundlagen zur Weiterentwicklung von Methoden zur Verhinderung der Ausbreitung der Mistel im Stadtgebiet und im Wald.

Schlagwörter (deutsch)

Baumregister, Viscum album, komplexe Waldschäden, Trockenstress, Loranthus europaeus.

Titel, Abstract, Schlagwörter (englisch)

Titel (englisch)

Mistletoe in urban areas as an early warning system for climate-induced forest damage

Abstract (englisch)

White mistletoe (Viscum album L.) is an evergreen hemiparasite of the mistletoe family Santalaceae, parasitizing on both coniferous and deciduous trees. Oak mistletoe (Loranthus europaeus) from the Loranthaceae family occurs less frequently in our cities; it reaches its European distribution limit in eastern Austria. Its host trees include oak and sweet chestnut. They have in common, among other things, the spherical growth form and the formation of persistent haustoria, with which they tap their hosts' resources. They engage in photosynthesis and thus require light, but are completely dependent on the water and mineral resources of the tree on which they establish themselves. The prescence of mistletoe often indicates unfavorable growing conditions of the tree. As a result of climate change, tree growth conditions often deteriorate even more rapidly or intensely in urban areas than in forests.

Mistletoe is highly prevalent in urban areas. The infestation of trees leads to a deterioration of their vitality and to the drying out of branches, which represent a potential hazard. Especially older trees with pre-existing damage to trunk and branches are more affected by mistletoe. Despite intensive damage to many trees by mistletoe, there are tree species that are largely resistant to damage.

A precise analysis of correlations between factors such as tree species, location, dynamics of mistletoe infestation, success of countermeasures in the past, etc. from data collected in the cities of Vienna and Graz should help to identify forest situations that are particularly at risk in climate change and to take countermeasures. In this context, mistletoe acts as a leading indicator for emerging complex forest damage. At the same time, episodes of heavy mistletoe infestation in forests in the vicinity of Vienna in the past are to be used to determine which factors have a favorable or mitigating effect. Our findings will provide the basis for the further development of methods to prevent the spread of mistletoe in urban areas and forests.

Schlagwörter (englisch)

city tree register, Viscum album, Loranthus europaeus, complex forest damage, drought stress

Projektziele

Ermitteln von Trends und Erstellen einer Prognose zur Ausbreitung der Weißen Mistel und der Eichenmistel in Stadtbäumen, sowie Abgabe praktischer Empfehlungen zur Verbesserung der Situation in der Stadt und in den Wäldern.

  1. Analyse der städtischen Baumdatenbanken aus Wien (Baumkataster Wien) und Graz (Baumkataster Graz) im Hinblick auf die von Misteln befallenen Bäume, die Entstehung von Trends und Abhängigkeiten.
  2. Identifizierung der wichtigsten Merkmale von Bäumen, die die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Misteln beeinflussen.
  3. Identifizierung von Standorten mit hoher/niedriger Anzahl von mistelbefallenen Bäumen.
  4. Vergleich der Befallssituationen in den beiden Städten; Analyse von Unterschieden und Gemeinsamkeiten
  5. Feststellung der Misteldynamik in den letzten Jahren.
  6. Vergleich mit der Befallssituation in ausgewählten Waldgebieten; Analyse der Übertragbarkeit von Daten aus der Stadt als Frühwarnsystem für klimabedingte Gefahrenkomplexe im Wald
  7. Beurteilung der Eignung von Mistel-Analysen in Stadt und Wald als Anzeiger sich anbahnender komplexer Waldschäden.

Praxisrelevanz

Basierend auf den Ergebnissen des Projekts wird es möglich sein, praktische Empfehlungen auszusprechen:

  1. Kartierung von Stadtgebieten mit unterschiedlich starkem Mistelbefall
  2. Erklärung der wichtigsten Faktoren, die Misteln begünstigen bzw. die sie verhindern oder zurückdrängen.
  3. Empfehlungen für eine gegebenenfalls notwendige bessere/regelmäßigere Datenerhebung zu befallenen und nicht befallenen Bäumen, auch im Hinblick wissenschaftlicher Auswertungen.
  4. Handlungsempfehlungen zur frühzeitigen waldbaulichen Reaktion auf das Auftreten von Misteln, als Anzeiger von Schwäche-Situationen.

Berichte

Abschlussbericht , 31.05.2023

Kurzfassung

Bild Viscum album

Berichtsdateien

101865_MISTELUR_Abschlussbericht1.pdf

Abstract (deutsch)

Am Bundesforschungszentrum für Wald wurde eine Studie zu Misteln an Stadtbäumen durchgeführt. Dazu wurden die Baumkataster der Städte Wien und Graz ausgewertet. Ziel dieser Studie war es, zu ermitteln, welche Mistelarten auftreten, die Intensität der Infektion zu bestimmen und Wirtsarten zu identifizieren, die für Mistelparasitismus anfälliger sind. Gleichzeitig wurde die Abhängigkeit des Mistelvorkommens von verschiedenen Faktoren untersucht. Im Vergleich mit Daten der Österreichischen Waldinventur wurde das Potenzial der Mistel zur Ausbreitung in Wälder beurteilt.

Es konnte gezeigt werden, dass das Vorhandensein der Mistel in den Städten in engem Zusammenhang mit der Art des Wirtsbaums, dem Standort, der Dichte der Bäume, dem Alter der Bäume sowie der Baumhöhe steht. In Wien wurden erstmals neue Wirtsbäume, die in der Literatur nicht bekannt sind, beschrieben. Bei den Wirtsbäumen zeigte sich oft eine ausgeprägte Anpassung der heimischen Baumarten an die Mistel (d.h. weniger Befall) und ein erheblicher Befall bei den eingeführten Bäumen. Bei einigen Arten können bestimmte Sorten gegen Mistel resistent oder weniger anfälliger sein. Bei den Schäden bzw. Krankheiten an Bäumen mit Misteln traten am häufigsten Rindenschäden auf.

In den Wäldern in der Umgebung Wiens ist hauptsächlich die Kiefernmistel auf Pinus sylvestris und P. nigra sowie die Eichenmistel vorhanden. Auch die Laubholzmistel spielt eine Rolle, z.B. auf Pappelarten. Möglicherweise stellen Bäume in den Städten einen gewissen „Infektionsherd“ für die Umgebung dar, falls kompatible Baumarten und Bedingungen (z.B. Waldränder) vorhanden sind. Hier könnten ausgedehnte, relativ reine Buchenbestände wie im Wienerwald „abschirmend“ wirken.

Die offensichtliche Ausbreitung der Mistelarten ist nicht auf einen einzigen Faktor zurückzuführen; vielmehr dürften mehrere Faktoren und deren Interaktion maßgeblich sein. Die Bestimmung der Verbreitung der Mistel und der zugrunde liegenden Faktoren ist für das Grünflächenmanagement in Städten, gerade in Bezug auf dem Klimawandel, von großer Bedeutung. Es wird eine Liste von Baumarten, Hybriden und Sorten vorgestellt, die wenig bis keine Anfälligkeit für Misteln haben. Beerentragende Sträucher können Vögel von der Verbreitung der Mistelsamen „ablenken“. Das sorgfältige Management von Baumbeständen in Städten ist auch wegweisend für zu erwartende Waldschäden.

Abstract (englisch)

A study on mistletoe on urban trees was conducted at the Austrian Research Centre for Forests. For this purpose, the tree registers of the cities of Vienna and Graz were evaluated. The aim of this study was to determine which mistletoe species occur, to determine the intensity of infection and to identify host species that are more susceptible to mistletoe parasitism. At the same time, the dependence of mistletoe occurrence on various factors was investigated. Data from the Austrian Forest Inventory served for assessing the potential of mistletoes to spread into surrounding forests.

It could be shown that the presence of mistletoe in the cities is closely related to the type of host tree, the location, the density of the trees, the age of the trees as well as tree height. In Vienna, new host trees not known in the literature were described for the first time. Host trees often showed marked adaptation of native tree species to mistletoe (i.e., less infections) and significant infestation in introduced trees. In some species, certain cultivars may be resistant or less susceptible to mistletoe. In terms of damage or disease to trees with mistletoe, bark damage occurred most frequently.

In the forests in the surroundings of Vienna, mainly pine mistletoe is present on auf Pinus sylvestris and P. nigra, as well as oak mistletoe. Mistletoes on hardwood also play a role, e.g. on poplars. Possibly, city trees can act as a source of “infections” for the surroundings, if compatible tree species and conditions (e.g. forest edges) are present. In this respect, rather pure beech forests, like in the Viennese Woods around Vienna, can act as a certain “barrier”.

The apparent spreading of mistletoes cannot be traced to a single factor; several factors are important and interacting. Determining the distribution of mistletoe and the underlying factors is of great importance for green space management in cities, especially in relation to climate change. A list of less susceptible or resistant tree species, hybrids and varieties is presented. Fruiting shrubs offering berries to birds in winter may “distract” them from spreading mistletoe seeds. Careful management of city trees is also a factor in minimizing future forest damage.

Autor/innen

Yuliia Bilonozhko, Olha Tokarieva, Berthold Heinze & Andrea Kodym