Projekt-856: Alternativ-, Ein- und Aussteigerbauern – ein Erneuerungspotenzial am Land?

Projektleitung

Michael GROIER

Forschungseinrichtung

Direktion Bergbauern

Projektnummer

10401

Projektlaufzeit

-

Allgemeine Projektinformationen

Titel, Abstract, Schlagwörter (englisch)

Projektziele

Das Ziel des Forschungsprojektes war es, fundierte Informationen über \"Aussteiger\" und ihren Einfluss auf die soziale und regionale Entwicklung in ländlichen Regionen zu gewinnen. Für die Gestaltung agrarpolitischer und regionalwissenschaftlicher Rahmenbedingungen und Maßnahmen ist die Kenntnis über die Ausprägung und die Entwicklung solcher neuer Lebens- und Wirtschaftsformen sowie deren Einfluss auf bestehende ökonomische und soziale Strukturen in ländlichen Gebieten von großer Bedeutung. Gerade in strukturschwachen Regionen wie dem Waldviertel können \"Aussteiger\" zu Innovations- und Erneuerungsimpulsen führen und damit in der betroffenen Region Ansätze zu neuen Entwicklungsperspektiven liefern.
Fundierte Literatur über Aussteiger ist äußerst spärlich gesät. Aussteiger werden bestenfalls in Printmedien in oberflächlichen, sensationsheischenden Artikeln als Romantiker, Rauschgiftsüchtige oder Esoteriker in ebenso romantischen Regionen dargestellt. Im abgeschlossenen Forschungsprojekt wurde versucht, dieses Phänomen abseits von gängigen Klischees und Vorurteilen zu untersuchen.
Im Zentrum der Studie stand die Frage, welche Effekte von städtisch geprägten Menschen, die neu in die Landwirtschaft einsteigen, ausgehen. Auch für die Lebensstilforschung war diese Zielgruppe interessant. Ziel des Projekts war die Überprüfung der These, dass AussteigerInnen in ländlichen Regionen als Drehpunktpersonen, als Transformatoren subkultureller bzw. alternativer Werte und als InnovatorInnen wirken.

Berichte

Abschlussbericht , 31.12.1999

Kurzfassung

Aussteigerlandwirtschaften als Experimentier- und Innovationsfeld Der Bauernhof stellt für die meisten AussteigerInnen primär nicht einen landwirtschaftlichen Produktionsbetrieb dar, sondern dient als Stützpunkt und Ausgangspunkt vielfältiger Aktivitäten. Nicht die agrarische Produktion, sondern die Beschäftigung mit Tieren, das Arbeiten in der Natur im Rahmen der Verwirklichung gesamtheitlicher Lebenskonzepte stehen im Mittelpunkt des Interesses. Die Landwirtschaft wird in Form von Subsistenzbetrieben oder Hobby-Landwirtschaften (z.B. Pferdehaltung) betrieben. Betriebswirtschaftliche oder marktwirtschaftliche Überlegungen stehen meist im Hintergrund. Viele AussteigerInnen haben keine landwirtschaftliche Ausbildung, sondern kennen die Landwirtschaft nur aus ihrer Kindheit und Jugend. Dementsprechend problematisch, oft chaotisch, gleichzeitig aber kreativ ist auch der Anfang, das Erfahrungsammeln mit landwirtschaftlichen Tätigkeiten wie Tierhaltung und Tierzucht und Umgang mit Maschinen, das oft nach den Prinzipien \"trial and error\" bzw. \"learning by doing\" vor sich geht. Durch Fehlversuche und Pleiten wird oftmals viel Lehrgeld bezahlt, da oft eine große Kluft zwischen Theorie und Praxis vorliegt. Von vielen AussteigerInnen wird die Landwirtschaft nicht als alleiniger Lebensinhalt, sondern als Lebensgrundlage, als eines von mehreren ökonomischen Standbeinen des Haushaltes betrachtet. Meist steht nicht die ökonomische Bedeutung der Landwirtschaft, sondern ihr ideeller Wert, als Symbol für potenzielle Unabhängigkeit, Subsistenz und Naturverbundenheit, im Mittelpunkt. Der anfänglich \"unbelastete\" und oft \"naive\" Zugang zur landwirtschaftlichen Praxis stellt aber gleichzeitig eines der größten Potenziale von Aussteigerlandwirtschaften dar. Gerade die kleinen Subsistenzbetriebe mit geringem Marktbezug und Marktzwängen bieten ideale Voraussetzungen für ein relativ risikoarmes Experimentieren mit neuen Bewirtschaftungsformen und -methoden (Bio-Landbau, Kleintierhaltung, Fruchtfolgen, runde Felder) sowie seltenen landwirtschaftlichen Kulturpflanzen wie Dinkel, Einkorn, Popkornmais, Flachs, Hanf, alten Obst- und Gemüsesorten und Nutztieren. Typische Entwicklungsphasen auf Aussteigerhöfen Einstiegsphase Zuallererst muss ein preisgünstiger Hof gefunden, erworben und renoviert werden. Wegen des Geldmangels müssen die meist abgewohnten Höfe in mühevoller Arbeit unter schwierigen Lebensbedingungen langwierig (oft einige Jahre) adaptiert werden. Das nächste große Problem ist der Aufbau der Landwirtschaft, des Viehbestandes sowie der Grunderwerb (Pacht). Lern- und Experimentalphase (Diversifizierung) Entsprechend der Subsistenzphilosophie wird die Landwirtschaft ausgeweitet und der Haushalt stark diversifiziert. Es wird mit dem Anbau verschiedener Kulturpflanzen experimentiert, viele verschiedene Kleintiere gehalten, die Rohprodukte weiterverarbeitet und direktvermarktet sowie zusätzliche außerbetriebliche Tätigkeiten (zur Finanzierung der Renovierung) ausgeübt. In dieser Phase entstehen auch die meisten Konflikte und Missverständnisse mit den Nachbarn, die ihre traditionelle Lebens- und Arbeitsweise in Frage gestellt sehen. Frustrations- und Reflexionsphase Fehlendes Know-how, der hohe Arbeitsaufwand, das sich \"Verzetteln\" in vielfältigen Aktivitäten ohne befriedigende Einkommen sowie Konflikte mit den Nachbarn kosten viel Energie und führen zu Frustrationen, vor allem dann, wenn der Widerspruch zwischen den oft romantischen, idealistischen Wunschvorstellungen und der harten Realität des Alltags offensichtlich wird. Oft verstärken auch zwischenmenschliche Konflikte diese schwierigen Situationen. Konsolidierungsphase (Spezialisierung) Solche Krisen und Enttäuschungen führen in den wenigsten Fällen zur Resignation, sondern zur Reflexion und zum Überdenken der aktuellen Situation und möglicher Zukunftsstrategien. Die realen Rahmenbedingungen werden mehr oder weniger akzeptiert, zu hoch geschraubte Vorstellungen und Erwartungen zurückgenommen. In dieser Periode kommt es meist zu einer Neuorientierung der ökonomischen und sozialen Basis. Agrar- und regionalpolitische Konsequenzen AussteigerInnen, die in die Region kommen, stellen vor allem in der Anfangsphase für viele Einheimische vielfach eine Provokation dar. Andererseits fungieren die Aussteigerhöfe für die Nachbarn oft als Reflexions- und Projektionsebenen, lösen Diskussionen aus, führen zum Hinterfragen eigener tradierter Wertemuster und können so zu Verhaltensänderungen führen (z.B. Ökologisierung der Landwirtschaft). Viele AussteigerInnen wirken deshalb in bestimmten Phasen, also zeitgebunden, als soziokulturelle Katalysatoren, als \"Germ\" gesellschaftlicher Veränderungsprozesse. Es werden dabei städtische oder unkonventionelle Wertemuster - eine Mischung aus progressiven und antimodernistischen Werten - vermittelt. Dabei sind sowohl das Experimentieren mit alternativen Formen des sozialen Zusammenlebens in Wohngemeinschaften, mit neuen Haushaltsstrategien und landwirtschaftlichen Produktions- und Vermarktungsmethoden sowie lokalen und regionalen Netzwerken interessant. Auch das Bewahren bzw. Wiederentdecken traditioneller Werte und Aktivitäten wie beispielsweise alte Verfahrens- und Handwerkstechniken bzw. Religiosität/Spiritualität - bis Mitte dieses Jahrhunderts noch integrale Bestandteile traditioneller bäuerlicher Haushalte - spielen eine zentrale Rolle. Die Wirkung der AussteigerInnen auf die Landwirtschaft bezieht sich vor allem auf das Bewahren bzw. Wiederbeleben vormals vernachlässigter Produktionssparten wie der Kleintierproduktion (Schaf- und Ziegenhaltung), dem Anbau von alten Kulturpflanzen und der Haltung gefährdeter Nutztierrassen sowie der ökologischen Erneuerung der Landwirtschaft (biologischer Landbau). Die Marktunabhängigkeit der meist kleinen, subsistenzorientierten Betriebe eröffnet einen großen Spielraum für Experimente vor allem im pflanzenbaulichen, tierischen als auch verarbeitungstechnischen Bereich. Die Zukunft der Aussteigerlandwirtschaft Das Aussteigerphänomen ist ein zeitgebundener Ausdruck komplexer gesellschaftspolitischer Prozesse, der unter bestimmten soziokulturellen Rahmenbedingungen Ungleichgewichte und Defizite abbildet, Visionen entwickelt und diese umzusetzen versucht. Diese Prozesse lassen sich nur schwerlich direkt steuern, gewünschte externe Effekte nicht beliebig herbeiführen. Das Aussteigen lässt sich in diesem Sinne deshalb auch nicht direkt fördern, da es von einer Vielzahl unterschiedlicher Einflussgrößen und Entwicklungen abhängt. Es geht dabei ja auch nicht darum, eine bestimmte Bevölkerungsschicht zu bevorzugen, sondern das Miteinander von Einheimischen und Neusiedlern zu fördern, gemeinsame Aktivitäten zu ermöglichen, das Verständnis für den/die andere/n zu fördern und jedem/jeder einzelnen attraktive Rahmenbedingungen für dessen/deren Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten.