Projekt-662: Situationsanalyse zur ländlichen Armut

Projektleitung

Georg WIESINGER

Forschungseinrichtung

Direktion Bergbauern

Projektnummer

10530

Projektlaufzeit

-

Finanzierungspartner

Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

Allgemeine Projektinformationen

Titel, Abstract, Schlagwörter (englisch)

Projektziele

Daten über soziale Benachteiligung, Ausgrenzung und Armut in ländlichen Regionen sind generell wesentlich dünner gesät als in städtischen Ballungsräumen. Dies lässt sich mit einem wesentlich höheren Interesse der Verwaltung, Politik und Wissenschaft an Fragestellungen der städtischen Armut erklären, denn Wissenschaft und Verwaltung findet hauptsächlich in den Städten statt. Tatsächlich gab es bislang kaum Studien, welche die Lebensqualität, das Einkommen oder wirtschaftliche und soziale Phänomene des ländlichen Raumes zum Thema hatten.
Es stellt sich zunächst die prinzipielle Frage, wodurch sich die ländliche Armut eigentlich von städtischer Armut unterscheidet. Vielfach wird ins Treffen geführt, dass der ländliche Raum keine besondere Forschungskategorie darstelle, an welcher sich Armut festmachen ließe, denn am Land gäbe es Alters-, Frauen- und Kinderarmut etc. in gleichem Maße wie in der Stadt. Der ländliche Raum wäre eine horizontale Definitionseinheit für Armut und ländliche Armut daher eine Querschnittmaterie. Es ist zwar richtig, dass die einzelnen Kategorien von Armut sowohl am Land als auch in der Stadt anzutreffen sind, ihre konkreten Wirkungen, Folgen, Ursachen und Ausprägung sind jedoch oft sehr unterschiedlich. Viele armutsverursachende Faktoren spielen überwiegend oder ausschließlich in ländlichen Regionen eine Rolle.
Der Begriff Armut beinhaltet eine räumliche, zeitliche und gesellschaftlich - soziale Dimension. Die Auffassungen darüber, wann wer und unter welchen Umständen arm ist, gehen weit auseinander. In der wissenschaftlichen Diskussion wird zwischen einer absoluten, relativen, neuen, alten, temporären, permanenten, materiellen, ideellen, sozialen, geistigen, kulturellen, sichtbaren, versteckten, bekämpfte, latenten, aktuellen und potentiellen Armut, Einkommens- und Ausgabenarmut, Ausstattungsarmut usw. unterschieden. Armut ist oft nur ein vorübergehendes Phänomen, wenn sie in bestimmten Lebensepisoden, Not-, Krisen- und Mangelsituationen auftritt (z.B. Studium, Ausbildung, Schicksalsschläge). Armut kann sich latent äußern bei Personen, die zwar einen Anspruch auf Hilfsleistungen besitzen, diesen aber nicht oder verspätet einfordern. Armut kann durch verschiedenartigste Ursachen ausgelöst werden sowie dynamische Wirkungen und Folgeprozesse entwickeln.
Bei der Durchführung der Studie wurde ein diffiziles und vielfältiges Instrumentarium gewählt. Die Ergebnisse basieren auf Workshops, Gruppendiskussionen und diversen Gemeindeaktivitäten sowie einer Analyse statistisch relevanter Daten (EU-Haushaltspanels, Mikrozensus, Konsumerhebungen usw.). Das Hauptaugenmerk lag in Gesprächen mit ExpertInnen und MultiplikatorInnen, die mit der lokalen Armutssituation gut vertraut oder direkt konfrontiert waren, wie z.B. SozialarbeiterInnen, Schuldnerberatern, Caritasmitarbeitern, Kindergärtnerinnen, Lehrern, Bürgermeistern, Gemeindevorstehern, Dorfvereinen, Pfarrern, Mitglieder von Pfarrgemeinderäten etc. Diese Methodik ermöglichte eine bessere Reflexion und einen objektiveren Zugang. Armutsgefährdete und von Armut Betroffenen wurden in der Regel nie als Betroffene geladen sondern in einer anderen Rolle, als VertreterIn einer öffentlichen Stelle, NGO etc. Oft brachten sie dann dennoch im Gespräch ihre persönlichen Erfahrungen ein.

Berichte

Abschlussbericht , 31.12.2004

Kurzfassung

Die Armutsgefährdung ist im ländlichen Bereich wesentlich größer als beispielsweise in Großstädten. Auf Landgemeinden und Kleinstädte entfallen 70% aller Einkommensarmen. Am Land sind die Ausbildungschancen geringer, die Haushalte größer, die Kinderbetreuungseinrichtungen unzureichender und die Qualität der angebotenen Arbeitsplätze sowie die Löhne weit schlechter als in den Ballungsräumen. Ländliche Armut ist nicht gleich bäuerliche Armut aber sie ist auch bäuerliche Armut. LandwirtInnen sind in besonderem Maße von Armut bedroht. Laut Statistik Austria waren 1984 30,6% aller bäuerlichen Haushalte armutsgefährdet. Dies ist ein sehr hoher Prozentsatz im internationalen Vergleich. Ausschlaggebend dafür ist in erster Linie die überwiegend klein- und mittelgroße Struktur der österreichischen Landwirtschaft. Als Hauptproblembereiche bei der bäuerlichen Armut lassen sich v.a. Überschuldung, Defizite in der Altersversorgung, insbesondere bei Bäuerinnen und eine ungleiche Einkommensverteilung feststellen. Als spezifische Faktoren, die im ländlichen Raum in einem besonderen Maße für die Armutsgefährdung verantwortlich sind, erweisen sich u.a. eine mangelnde individuelle Mobilität, Langzeitarbeitslosigkeit, geringe Erwerbschancen, eine ungünstige Wirtschaftsstruktur mit vielen Niedriglohnbranchen, ein schlechtes Angebot an kommunalem Wohnraum, eine unzureichende Altersversorgung bestimmter Berufsgruppen, mangelnde bis fehlende Bildungs-, Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen, fehlende Gleichberechtigung der Frauen, schlechte Infrastruktureinrichtungen und nicht zuletzt die Angst vor der Stigmatisierung aufgrund der fehlenden Anonymität. Effektive Maßnahmen zur Bekämpfung der ländlichen Armut und sozialen Ausgrenzung setzen ein Grundverständnis über deren strukturelle Ursachen und Wirkungen sowie einen Grundkonsens über die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen überhaupt voraus. Die herrschenden politischen Paradigmen müssten sich wieder mehr auf eine verstärkte soziale Verantwortlichkeit und Solidarität rückbesinnen. Denn erst dann, wenn der politische Wille gegeben und die gesellschaftlichen Ausgrenzungs- und Stigmatisierungsmechanismen beseitigt sind, kann es gelingen, die ländliche Armut wirksam und nachhaltig zu beseitigen. Dies würde einerseits Strukturen und politische Rahmenbedingungen von oben und andererseits eine starke zivilgesellschaftliche Bewegung von unten, getragen von den lokalen und regionalen Wohlstandsverbänden, Sozialinitiativen, Kirchen, örtlichen Vereinen, Betroffenen und sonstigen Engagierten, voraussetzen. So gesehen ist eine wirksame Bekämpfung der Armut, insbesondere der ländlichen Armut, nur in Form einer integrativen Regionalpolitik unter Zusammenwirkung der verschiedenen Akteure auf den unterschiedlichen Ebenen möglich. Von sektoralen Betrachtungsweisen sollte abgegangen werden. Ziel ist ein integratives Vorgehen bei Vernetzung aller Sektoren und Handlungsträger. Die entsprechenden Maßnahmen sollten in den unterschiedlichsten Bereichen wie der Sozial-, Beschäftigungs-, Wirtschafts-, Agrar-, Gesundheits-, Bildungs-, Familien-, Frauen-, Kinder-, Wohnbau-, Fiskalpolitik und der Regionalentwicklung gesetzt werden, jedoch nicht isoliert und auf sich bezogen, sondern übergreifend.

Berichtsdateien

Laendliche_Armut.pdf

Autor/innen

Georg Wiesinger