PotEnt: Potenziale zur Entsiegelung als Kompensation beeinträchtigter Bodenfunktionen

Projektleitung

Rosemarie Stangl

Forschungseinrichtung

Universität für Bodenkultur Wien

Projektnummer

101994

Projektlaufzeit

-

Finanzierungspartner

Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft | Amt der Niederösterreichischen Landesregierung| Amt der Oberösterreichischen Landesregierung| Amt der Steiermärkischen Landesregierung| Amt der Tiroler Landesregierung| Amt der Kärntner Landesregierung| Amt der Salzburger Landesregierung| Amt der Vorarlberger Landesregierung| Amt der Wiener Landesregierung| Amt der Burgenländischen Landesregierung

Allgemeine Projektinformationen

Abstract (deutsch)

Zunehmende Verbauung und Bodenversiegelung verstärken die Auswirkungen des Klimawandels und von Wetterextremen in Siedlungsräumen, wovon auch Österreich stark betroffen ist. Durch Flächeninanspruchnahme werden durchlässige, versickerungsfähige, produktionsfähige Böden und somit CO2-Speicher minimiert und hydrologische und biologische Bodenfunktionen beeinträchtigt bzw. bei Vollversiegelung gänzlich zerstört.

Andererseits ist das Regenwassermanagement weitläufig von grauen Lösungen geprägt, der Stand-der-Technik hinkt internationaler Anpassungen bezüglich natur-basierter Alternativen hinterher. Neben dem Erhalt von Böden in Quantität und Qualität durch Reduktion der Flächeninanspruchnahme sind Ausgleichsmaßnahmen, Flächenrückbau und Entsiegelung dringend notwendige Schritte zur Gegensteuerung. Die Erarbeitung von Entsiegelungskonzepten im Sinne der Bodenstrategie für Österreich erfordert die Aufbereitung von wissenschaftlichen Grundlagen und ein Wissen zu Potenzialen.

Der vorliegende Projektvorschlag PotEnt widmet sich gezielt dem Thema Entsiegelung in Österreich und was relevante Maßnahmen zum Ausgleich verlorener Boden(teil)funktionen (Kühlung, Grundwasserneubildung, Oberflächenabflussneutralität) beitragen können. Ziel ist, eine Informationsbasis für Österreich zu schaffen, Entsiegelungspotenziale aufzuzeigen und die praktische Umsetzung zu unterstützen.

PotEnt erarbeitet und entwickelt dafür (A) Grundlagen für Entsiegelung als Rückbau- bzw. Ausgleichsmaßnahme, (B) einen Ansatz zur Bewertung von Entsiegelungsmaßnahmen unter Einbeziehung von Expert:innen und Stakeholdern, sowie (C) Empfehlungen zur Entsiegelung in Österreich. Als Ergebnisse stehen (1) eine österreichweite Entsiegelungskarte mit Prioritäten, (2) eine Methode zur Quantifizierung der Wirkung von Entsiegelung auf Kühlfunktion und Wasserhaushalt, und (3) zielgruppengerechte Empfehlungen und Grundlagen für Maßnahmen für Gemeinden, Stakeholder und Politik zur Verfügung.

Schlagwörter (deutsch)

Flächeninanspruchnahme, Grundwasserneubildung, Oberflächenabfluss, Grün-blaues Regenwassermanagement, Nature-based Solutions, Mikroklimaregulation, Klimawandelanpassung

Titel, Abstract, Schlagwörter (englisch)

Titel (englisch)

Potential of unsealing as compensation measures for impaired soil functions

Abstract (englisch)

Increasing urbanisation and soil sealing intensify the effects of climate change and weather extremes in settlement areas, and also strongly affect Austria. Land use minimises permeable, productive soils and thus infiltration and CO2 storage. Hydrological and biological soil functions are impaired or, in the case of full sealing, completely destroyed.

On the other hand, rainwater management is largely characterised by grey solutions. The state of the art lags behind international adaptations considering nature-based alternatives. In addition to preserving the quantity and quality of soils by reducing land use, measures for compensation, land restoration and unsealing are urgently required to counteract this. The elaboration of concepts for unsealing in line with the soil strategy for Austria requires the preparation of a scientific basis and assessment of potentials.

This project proposal, is specifically dedicated to the topic of unsealing in Austria and what relevant measures can contribute to compensating for lost soil functions (cooling, groundwater recharge, surface runoff neutrality). The aim of PotEnt is to create an information base for Austria, to highlight unsealing potential and to support practical implementation.

To this end, PotEnt is developing (A) a basis for unsealing as a restoration or compensation measure, (B) an approach for evaluating unsealing measures with the involvement of experts and stakeholders, and (C) recommendations for unsealing in Austria. The results are (1) an Austria-wide unsealing map with priorities, (2) a method for quantifying the effect of unsealing on the cooling function and water balance, and (3) target-group-specific recommendations and a basis for measures for municipalities, stakeholders and policy-makers.

Schlagwörter (englisch)

land consumption, ground water recharge, surface runoff, green-blue rain water management, Nature-based Solutions, microclimate regulation, climate change adaptation

Projektziele

FORSCHUNGSFRAGEN

Der gegenständliche Projektvorschlag widmet sich gezielt dem Thema Entsiegelung und der Beantwortung folgender Fragestellungen:

  • Wie groß ist das Entsiegelungspotenzial in Österreich?

  • Was kann die Entsiegelung zum Ausgleich von durch Flächeninanspruchnahme verloren gegangenen Boden(teil)funktionen - insbesondere bzgl. Kühlfunktion, Wasserhaushalt (Grundwasserneubildung und Oberflächenabflussneutralität) - beitragen?

  • Wie kann die praktische Umsetzung der Entsiegelung in Österreich unterstützt werden?

Ziel des Projekts ist es eine Informationsbasis für Österreich zu schaffen und aufzuzeigen, welche Entsiegelungspotenziale vorliegen, welche Effekte hinsichtlich Wiederherstellung von Bodenfunktionen durch Entsiegelungsmaßnahmen erzielt werden können und darzustellen, wie Entsiegelung in der Praxis sinnvoll umgesetzt werden kann.

HINTERGRUND

Die Erhaltung von Böden in hoher Quantität, Qualität und Diversität ist die Grundlage vieler gesellschaftlicher Bedürfnisse, da Böden durch die Bodenfunktionen eine Vielzahl an Leistungen für unsere Gesellschaft und Wirtschaft erbringen. Dazu zählen die Versorgung mit Nahrungsmitteln, der Hochwasserschutz, die Grundwasserneubildung, die Trinkwasserreinigung, das Vorhandensein von Erholungsräumen und Lebensräumen, Kühlung bei Hitze, Kohlenstoffspeicherung und vieles mehr. Durch Flächeninanspruchnahme werden nicht nur durchlässige, versickerungsfähige, produktionsfähige Bodenflächen und somit CO2-Speicher minimiert, sondern v.a. die Bodenfunktionen beeinträchtigt oder gänzlich zerstört (bei Vollversiegelung) . Seit 2016 liegt die Flächeninanspruchnahme in Österreich bei durchschnittlich 42 km² pro Jahr bzw. über 11 Hektar pro Tag; davon werden rund 41% versiegelt, womit alle hydrologischen und biologischen Bodenfunktionen ge- bzw. zerstört werden. Gemäß aktueller Regierungsvereinbarung [1] soll die Flächeninanspruchnahme bis 2030 auf 2,5 Hektar pro Tag reduziert werden.

POLITISCHE ZIELE

Auch auf europäischer Ebene steigt der Druck, die Flächeninanspruchnahme zu reduzieren. So soll bis 2050 eine „Nettonull-Flächeninanspruchnahme“ erreicht werden. Die EU-Mitgliedsstaaten sind angehalten bis Ende 2023 ihre Ziele zur Reduktion der Flächeninanspruchnahme bis 2030 zu definieren [2]. Die Europäische Bodenstrategie stellt den Schutz, die Wiederherstellung und die nachhaltige Nutzung von Böden in den Mittelpunkt [x], entsprechende nationale Maßnahmen und die Anpassung rechtlicher Rahmen in den Mitgliedsländern werden erwartet. Als Lösungsansatz gilt hierbei die sogenannte „land take hierarchy“ mit dem übergeordneten Ziel, Flächeninanspruchnahme zu vermeiden, zu minimieren und zu kompensieren. Auf österreichischer Ebene werden die Grundsätze dieses Ansatzes im Rahmen der geplanten österreichischen Bodenstrategie [3] berücksichtigt. Im Hinblick auf eine effiziente Siedlungsentwicklung ist gemäß der Bodenstrategie die Erarbeitung von Entsiegelungskonzepten vorgesehen, um die Entsiegelung zu fördern. Die Bodenstrategie schreibt im enthaltenen Aktionsplan zur Umsetzung bis 2030 konkrete Maßnahmen mit einem Zeitrahmen vor. Als Maßnahme wird explizit “die Entwicklung von Modellen zu Ausgleichsmechanismen für Flächeninanspruchnahme“ verlangt. Solche Ausgleichsmaßnahmen sind im Hinblick auf das langfristige Ziel einer „Nettonull-Flächeninanspruchnahme” erforderlich, um eine wirtschaftlich und gesellschaftlich weiterhin notwendige Flächeninanspruchnahme zu kompensieren. Zur Erreichung dieses Ziels ist jedoch in erster Linie die Vermeidung und danach die Minimierung zukünftiger Flächeninanspruchnahme anzustreben. Die Entsiegelung stellt eine wichtige zusätzliche Option dar, um Effekte der Flächeninanspruchnahme zu kompensieren.

AUSGLEICH VON DEGRADIERTEN BODENFUNKTIONEN

Für den Ausgleich von degradierten Bodenfunktionen gibt es einen methodischen Ansatz für Österreich, der im Rahmen des Projektes DACHBODEN [4] entwickelt wurde. Dieser betrifft den Ausgleich von degradierten Bodenfunktionen im Rahmen von Großprojekten im Straßenbau und deckt somit nur einen Teilbereich ab. In Anlehnung an die Methode des Hessischen Landesamtes [5] wird in dem Ansatz eine Liste von Ausgleichsmaßnahmen vorgeschlagen, welche anschließend nach unterschiedlichen Kriterien bewertet werden. Die Vollentsiegelung ist hier eine von vielen Maßnahmen und wird am höchsten bewertet, gefolgt von der Teilentsiegelung.

VOLLENTSIEGELUNG VERSUS TEILENTSIEGELUNG

Unter Vollentsiegelung wird die vollständige Entfernung aller versiegelnd wirkenden Bereiche, Tragschichten und Schichten auf und im Boden, das inkludiert Gebäude und Bauwerke, sowie die Beseitigung von bestehenden Verdichtungen des Unter- bzw. Restbodens mit einem anschließenden Aufbau standorttypischer Böden verstanden mit dem Ziel, die natürlichen Bodenfunktionen möglichst weitgehend wiederherzustellen (Nehls et al. 2011). Im Unterschied zur Vollentsiegelung werden bei der Teilentsiegelung versiegelnd wirkende Bereiche, Tragschichten und Schichten auf und im Boden nur teilweise entfernt. In Abhängigkeit vom Ausmaß der Teilentsiegelung werden zudem bestehende Verdichtungen des Unter- bzw. Restbodens beseitigt, jedoch bleibt nach Teilentsiegelungsmaßnahmen die Bodenfunktionalität häufig weiterhin eingeschränkt [5, 6].

NICHT ALLE VERSIEGELTEN FLÄCHEN FÜR ENTSIEGELUNG GEEIGNET

Vollentsiegelung von Flächen ist in Siedlungsgebieten weitgehend nicht realisierbar. Nicht alle Flächennutzungstypen kommen in gleicher Form für Entsiegelungsmaßnahmen in Frage. Flächen, die unter einer intensiven Nutzung stehen und mit Gebäudeinfrastruktur ausgestattet sind (z.B. genutzter Wohnraum), werden sich nicht entsiegeln lassen. Umgekehrt gibt es Flächen, insbesondere Freiräume von Gebäuden und Immobilienanlagen, öffentliche Plätze und Strassen etc., bei denen eine Teil- oder auch Vollentsiegelung leichter umsetzbar ist. Ähnlich ist die Situation bei einer Nutzungsveränderung. Inwiefern und in welchem Umfang eine Entsiegelung einen Ausgleich von durch Flächeninanspruchnahme verloren gegangenen Boden(teil)funktionen leisten kann, hängt von Art und Umfang der Entsiegelungsmaßnahme ab.

PROJEKTERGEBNISSE

  • Österreichweite Entsiegelungskarte mit Prioritäten

  • Methode zur Quantifizierung der Wirkung von Entsiegelung auf Kühlfunktion und Wasserhaushalt (AP1, AP2)

  • Bewusstseinsbildung und zielgruppengerechte Empfehlungen und Grundlagen für Maßnahmen zur Entsiegelung für Gemeinden, Stakeholder und Politik

Praxisrelevanz

Österreichs Regionen und Gemeinden sind durch die Auswirkungen des Klimawandels massiv betroffen und werden dies in Zukunft noch stärker sein. Temperaturextreme, Starkregen und/oder Trockenheit sorgen vermehrt für Schlagzeilen in den Medien und stellen Betroffene vor Ort vor große Herausforderungen. Im Zusammenspiel mit zunehmender Verbauung und somit auch zunehmender Bodenversiegelung ist auch die Wirkung von Wetterextremen in Siedlungsräumen immer stärker zu spüren. Das KLAR! Programm [9] fördert Gemeinden und Regionen bei der Klimawandel-Anpassung. Es gibt in Österreich aktuell 92 KLAR! Regionen mit insgesamt 770 Gemeinden. Zu den größten Herausforderungen bei der Bewältigung des Klimawandels werden von 78% der KLAR! Regionen Hitze genannt, gefolgt von Starkregen bei 74% der Regionen, Hochwasser bei 37% und die zunehmende Versiegelung bei 29%, wobei erstere stark in Abhängigkeit von letzterem stehen. Das Aufzeigen und die Nutzung von Entsiegelungspotenzialen kann ein möglicher Lösungsansatz für die genannten Herausforderungen sein, mit dem Vorteil, dass alle genannten damit in Zusammenhang stehen. Eine österreichweite Entsiegelungskarte stellt hier einen ersten wichtigen Beitrag dar.

In Österreich ist das Regenwassermanagement von grauen Lösungen geprägt. Der Stand-der-Technik bildet grüne Alternativen nur rudimentär in Form von berasten Versickerungsmulden oder -becken ab. Zur Flächenversickerung werden Grasnarben, Schotterrasen, Rasengittersteine oder -platten und Rasenfugenpflaster angegeben [10, 11]. Es besteht Nachholbedarf, was die Aktualisierung der Regenwassermanagementsysteme mit natur- und pflanzenbasierten Alternativen betrifft. Darüber hinaus sind vielerorts Planungs- und Baumängel erkennbar, wie zum Beispiel die freie Interpretation der Ausführung rasenbegrünter Sickermulden als tiefe Spitzgräben mit Steilflanken oder Schotterrasen als Begrünung einer Schotterfläche ohne technischen Aufbau mit einer Samenmischung. Ein weiteres Beispiel sind bauliche Abtrennungen (z.B. Beet- und Baumscheibeneinfassungen durch bauliche Restbestände, Hochbeete etc.), die die integrierte Einleitung des Regenwassers in neu angelegte Grünflächenversickerungsanlagen bzw. die Haltung des Regenwassers im Kreislauf unterbinden. Der national gültige technische Standard bietet hierzu keine Lösungen oder technische Ausführungen an, wodurch die Wirksamkeit dezentraler, natur-basierter integraler Lösungen defizitär ist und Österreich internationalen Standards bzw. dem Stand des Wissens hinterherhinkt.

In diesem Projekt wird mit der Erarbeitung einer Entsiegelungspotenzialkarte ein Beitrag geleistet, diesbezügliche Lücken zu füllen und Gegenmaßnahmen zu forcieren. Auf Basis quantitativer Bewertungsmethoden werden potenzielle GBI- und NBS-Lösungen zielgruppengerecht aufbereitet. Im Hinblick auf die Durchführung von Teilentsiegelungen ist die Quantifizierung der Wirkungen auf Wasserhaushalt und Kühlfunktion wichtig, um Effekte in der Planung berücksichtigen zu können und entsprechende Argumente für die Finanzierung und Genehmigung solcher Maßnahmen zu erhalten. Zusätzlich kann der Beitrag von (Teil-)Entsiegelungen zur Erhöhung des Wasserdargebots im Grundwasser und zur Verringerung von Oberflächenabfluss und Hochwasserrisiken abgeschätzt werden, was für das zukünftige Wassermanagement in Österreich von Relevanz ist.

Der Erfahrungsaustausch mit Stakeholdern über Workshops und Interviews ermöglicht die direkte Vermittlung der erarbeiteten Grundlagen (z.B. Entsiegelungskarte) und die Identifizierung von Herausforderungen und möglichen Lösung bei der Umsetzung von Entsiegelungen in der Praxis. Kooperationen mit anderen Projekten, wie z.B Ground:breaking der CIPRA International und Entsiegelung in Gemeinden vom Klimabündnis Österreich, bringen die erarbeiteten Ergebnisse an weitere Zielgruppen heran, auch im benachbarten Ausland, die Initiativen zur Entsiegelung vorantreiben wollen.

Die im Projekt erstellten Empfehlungen ermöglichen Gemeinden, Stakeholdern und Politik fundiert zu planen, zu fördern bzw. wichtige Aspekte in relevanten Regelungen zu berücksichtigen und Entsiegelungen als wichtige Kompensationsmaßnahme für beeinträchtigte Bodenfunktionen zu etablieren. Damit wird ein fundamentaler Beitrag zur Reduktion der Bodenversiegelung in Österreich geleistet.