ASPiRNA: Nachhaltige und zielgerichtete Kontrolle des Rübenderbrüsslers (Asproparthenis punctiventris) mittels RNA-Interferenz
Projektleitung
Katharina Wechselberger
Forschungseinrichtung
Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES)
Projektnummer
102112Projektlaufzeit
-
Finanzierungspartner
Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft
Allgemeine Projektinformationen
Abstract (deutsch)
Steigende Temperaturen, Trockenperioden und der Wegfall von Wirkstoffen zählen zu den aktuellen Herausforderungen des Zuckerrübenbaus. Vor allem der wärmeliebende Rübenderbrüssler (Asproparthenis punctiventris) verursacht in Anbaugebieten mit weniger als 500 mm Jahresniederschlag immer wieder Flächenverluste mit umfangreichen Ernteausfällen, weshalb dringend neue Regulierungsmaßnahmen gegen den Schädling benötigt werden. Großes Potential bietet die Entwicklung von Pflanzenschutzmitteln basierend auf dem natürlichen Mechanismus der RNA-Interferenz (RNAi). Bei diesem Prozess bewirken doppelsträngige RNA (dsRNA) Moleküle eine höchst selektive und zielgerichtete Unterbrechung der Translation ausgewählter mRNAs. Um diesen Wirkmechanismus künftig gegen den Rübenderbrüssler anwenden zu können, werden im Projekt topische Applikationen mit erregerspezifischen dsRNA-Molekülen entwickelt, sogenannte RNA-Sprays. Hierfür werden mindestens drei potenzielle RNAi-Zielgene bioinformatisch anhand eines Referenztranskriptoms des Rübenderbrüsslers sowie der Referenztranskriptome ausgewählter Nichtzielorganismen identifiziert und artspezifische dsRNA-Konstrukte designt. In Injektions- und Fütterungsversuchen wird untersucht, ob die RNAi-vermittelte Abschaltung dieser Zielgene zu letalen Effekten oder verminderter Reproduktion führt. Den funktionalen Studien unter Laborbedingungen folgt eine Wirksamkeitsprüfung der RNA-Sprays in Feldversuchen. Auch die Wirkung auf Honigbiene, Marienkäfer und Laufkäfer wird in Labor- und Gewächshausversuchen untersucht, um das Risiko für Nichtzielorganismen zu erheben.
Nach derzeitigem Kenntnisstand wird dieser Ansatz zu einer umweltverträglichen Landbewirtschaftung mit möglichst geringen Auswirkungen auf die Biodiversität und die natürlichen Umweltressourcen beitragen.
Schlagwörter (deutsch)
RNA-Spray, Rübenderbrüssler, Asproparthenis punctiventris, Zuckerrübe, artspezifische Schädlingsregulierung, Ernährungssicherung, Resistenzmanagement
Titel, Abstract, Schlagwörter (englisch)
Titel (englisch)
RNA-interference for sustainable and targeted control of the sugar beet weevil (Asproparthenis punctiventris)
Abstract (englisch)
Rising temperatures, dry periods and the loss of active ingredients are among the current challenges facing sugar beet cultivation. In particular, the heat-loving sugar beet weevil (Asproparthenis punctiventris) repeatedly causes losses with extensive crop failures in cultivation areas with less than 500 mm annual precipitation. Thus, new control measures against the pest are urgently needed. The development of plant protection products based on the natural mechanism of RNA interference (RNAi) offers great potential. In this process, double-stranded RNA (dsRNA) molecules cause a highly selective and targeted interruption of the translation of selected mRNAs. In order to be able to use this mode of action against the sugar beet weevil in the future, the project is developing topical applications with pathogen-specific dsRNA molecules, so-called RNA sprays. For this purpose, at least three potential RNAi target genes will be identified bioinformatically using a reference transcriptome of the sugar beet weevil and the reference transcriptomes of selected non-target organisms. Species-specific dsRNA will be designed based on this information. In injection and feeding experiments with sugar beet weeveils, it will be investigated whether the RNAi-mediated silencing of these target genes leads to lethal effects or reduced reproduction. The functional studies under laboratory conditions will be followed by efficacy testing of the RNA sprays in field trials. The effect on honeybees, ladybugs and ground beetles will also be investigated in laboratory and greenhouse trials to assess the risk to non-target organisms.
Based on current knowledge, this approach will contribute to environmentally compatible agriculture with the least possible impact on biodiversity and natural environmental resources.
Schlagwörter (englisch)
RNA-Spray, sugar beet weevil, Asproparthenis punctiventris, sugar beet, species-specific pest control, food security, resistance management
Projektziele
Ziel des Projektes ASPiRNA ist die Entwicklung eines RNAi-basierten Pflanzenschutzansatzes, der aufgrund seiner spezifischen Wirkung gegen den Rübenderbrüssler und seiner biologisch abbaubaren Komponenten einen nachhaltigen Beitrag zur Erhaltung der Zuckerrübenproduktion in Österreich leisten kann.
Ein wesentlicher Schritt zur Erreichung des Zieles ist die Erstellung von Referenzsequenzen des Zielorganismus aber auch von Nichtzielorganismen, um die Identifikation von RNAi-Zielgenen bioinformatisch bestmöglich durchführen zu können. Um das in einem Vorprojekt entwickelte Referenztranskriptom von A. punctiventris zu komplettieren, wird im Rahmen des Projektes ein Referenzgenom für denselben erstellt. Die dadurch ermöglichte Integration von Genom- mit Transkriptomdaten garantiert eine Effizienzsteigerung und Präzisierung der Identifizierung geeigneter RNAi-Ziele. Zusätzlich dazu werden Transkriptome von mindestens zwei ausgewählten Nichtzielorganismen zur Abklärung von potenziellen off-target Effekten angefertigt. Die Auswahl der Arten erfolgt einerseits auf Basis der Verwandtschaftsnähe zum Zielorganismus, andererseits auch auf Basis des gemeinsamen Vorkommens bei Zuckerrübe. Darüber hinaus bietet die Verfügbarkeit eines Referenzgenoms eine robuste Grundlage für umfassende Analysen, die die Varianteninterpretation beeinflussen und unser Verständnis von Genfunktionen und -regulation verbessern (Alkharouf et al., 2024). So können die genomischen Sequenzen genutzt werden, um z.B. konservierte Regionen (UCRs) zu identifizieren, was entscheidend für die RNAi-Zielidentifikation sein kann (Zhang & Sun, 2014).
Mindestens drei Zielgene des Rübenderbrüsslers, welche nach einer RNAi-vermittelten Abschaltung zu letalen Effekten oder verminderter Reproduktion führen sollen, werden bioinformatisch identifiziert. Anhand dieser Sequenzen werden für A. punctiventris spezifische dsRNA-Konstrukte hergestellt und deren Aktivität im Rahmen von Injektions- und Fütterungsversuchen beim Zielorganismus, sowie bei Nichtzielorganismen untersucht. Jene Varianten, die bei den Fütterungsversuchen die besten Ergebnisse erzielen, werden im Gewächshaus als Sprühformulierung getestet und gegebenenfalls durch Blattbenetzungsmittel optimiert. Den funktionalen Studien unter Laborbedingungen folgt eine Wirksamkeitsprüfung der dsRNA Applikation gegen A. punctiventris unter Praxisbedingungen am Feld, um die Übertragbarkeit der unter Laborbedingungen erzielten Ergebnisse in die Praxis zu bestätigen.
Neben wissenschaftlichen Erkenntnissen wird das Forschungsprojekt auch wertvolle praktische Erfahrungswerte für die Beurteilung von Nutzen und Risiken RNAi-basierter Pflanzenschutzmaßnahmen liefern und einen Beitrag zur Stärkung der landwirtschaftlichen Innovation in Österreich leisten. Darüber hinaus kann das Projekt auch Einblicke in die Akzeptanz von RNAi-Technologien bei lokalen LandwirtInnen und VerbraucherInnen liefern. Diese Erfahrungswerte sind entscheidend, um Strategien für die Implementierung neuer Technologien zu entwickeln.
Die Projektergebnisse werden bei Feldtagen und Informationsveranstaltungen für LandwirtInnen und anderen Stakeholdern aus dem Bereich Landwirtschaft, sowie bei nationalen und internationalen Fachtagen präsentiert. Publikationen mit Peer Review sind geplant.
Praxisrelevanz
Der Rübenderbrüssler sorgt vor allem in Zuckerrüben-Anbaugebieten mit weniger als 500 mm Jahresniederschlag immer wieder für umfangreiche Ernteausfälle. In den letzten Jahren mussten in Österreich mehr als 10 % der Gesamtanbaufläche von ca. 40.000 ha umgebrochen und neu angebaut werden. Von der wiederangebauten Fläche konnte wegen neuerlichen Befalls nur etwa die Hälfte geerntet werden. Neben dem wirtschaftlichen Schaden für die Zuckerrübenanbauer führt dieser Mehraufwand zu unnötigen Umweltbelastungen durch wiederholten Maschineneinsatz. Nicht zuletzt kann durch die Unsicherheiten in der Rohstoffbereitstellung und der dadurch schlechten Fabrikauslastung auch einer von zwei Zuckerfabrikstandorten in Österreich gefährdet sein.
Einer der Gründe für die Zunahme der Schäden ist, dass hohe Temperaturen und eine zunehmende Anzahl von Tagen mit Temperaturen über 25 °C während der Aktivitätsperiode der Elterngeneration und der Ei- und Larvenphase, die Populationsentwicklung von A. punctiventris fördert (Jarmer, 2022). Aufgrund der bedingt durch den Klimawandel steigenden Durchschnittstemperaturen ist mit einer weiteren Zunahme der Ertragseinbußen bei Zuckerrüben durch den Rübenderbrüssler zu rechnen. Eine weitere Herausforderung stellt der laufende Wegfall von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen zur Regulierung des Schädlings dar.
Wegen der Risiken für Bienen sind einige Wirkstoffe aus der Gruppe der Neonicotinoide öffentlich in Kritik geraten. Die Wirkstoffe Imidacloprid, Thiametoxam und Clothianidin verloren daher im Jahr 2018 die EU-Wirkstoffgenehmigung für die Anwendung im Freiland. Da auch die vor der Einführung der Neonicotinoide verwendeten Wirkstoffe inzwischen in der EU nicht mehr genehmigt waren, standen plötzlich nicht mehr ausreichend Möglichkeiten zur Regulierung von Schadinsekten in Zuckerrüben zur Verfügung. Noch Ende 2019, und auch in den Folgejahren, erteilte das Bundesamt für Ernährungssicherheit (BAES) für den Zuckerrübenanbau, unter strengen Auflagen, eine Notfallzulassung für Insektizide mit Wirkstoffen aus der Gruppe der Neonicotinoide zur Saatgutbeizung. Aufgrund eines EuGH-Urteils vom 19. Jänner 2023 darf inzwischen für Wirkstoffe aus der Gruppe der Neonicotinoide jedoch keine Notfallzulassung mehr erteilt werden. Somit ist auch beim Rübenanbau die Verwendung von Saatgut mit entsprechender Beize nicht mehr zulässig.
Im Jahr 2024 waren in Österreich Insektizide mit Wirkstoffen aus der Gruppe der Pyrethroide (Deltamethrin und Lambda-Cyhalothrin) zur Anwendung in der Zuckerrübe gegen den Rübenderbrüssler, bzw. gegen beißende Insekten, regulär zugelassen und ein Insektizid aus der Wirkstoffgruppe der Butenolide (Flupyradifuron) erhielt eine Notfallzulassung gegen den Schädling. Das Resistenzmanagement gestaltet sich aufgrund der geringen Anzahl an verfügbaren Wirkstoffen bzw. Wirkungsmechanismen bereits jetzt schon sehr schwierig. Es ist zu erwarten, dass durch weitere Erkenntnisse bezüglich möglicher negativer Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt noch weitere Wirkstoffe mittelfristig die Genehmigung verlieren könnten. So wird beispielsweise gegenwärtig der Einsatz von Per- und polyfluorierter Alkylsubstanzen (PFAS) als Pflanzenschutzmittelwirkstoffe intensiv diskutiert. Einige im Rübenanbau wichtige Insektizide sind den PFAS-Wirkstoffen zuzuordnen.
Zudem wachsen in der Öffentlichkeit die Vorbehalte gegenüber chemisch-synthetischen Insektiziden und die Diskussion um Alternativen wird seit Jahren intensiv geführt. Die Situation erfordert die Entwicklung neuartiger, umweltschonender Bekämpfungsmethoden, die auf spezifische Schädlinge zugeschnitten sind und die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft nicht gefährden. Die Weiterentwicklung des integrierten Pflanzenschutzes ist daher ein wichtiges Ziel des Nationalen Aktionsplans über die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln, wobei biologischen sowie anderen nicht-chemischen Methoden der Vorzug einräumt wird. Aufgrund der hohen Spezifität der dsRNA, ihres geringen humantoxikologischen Potentials, sowie aufgrund geringer Rückstände in Boden, Futter- und Nahrungsmitteln, scheinen Pflanzenschutzmittel auf Basis von dsRNA eine zukunftsfähige Alternative zu sein (Whyard et al. 2009, O’Neill et al. 2011, Petrick et al. 2013, Parker et al. 2019, Bachman et al. 2020, Dietz-Pfeilstetter et al. 2021, De Schutter et al. 2022).
Um die Zuckerrübe auch in Zukunft effizient vor Schädlingsbefall schützen zu können, werden wirksame und umweltschonende Werkzeuge benötigt, die im Sinne eines integrierten Schädlingsmanagements eingesetzt werden können.